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Infrastrukturen bedürfen der Pflege

Bild: © Google Earth

Wir fahren mit dem Auto zur Arbeit, mit dem Velo rasch über den Hausberg oder lassen uns Einkäufe bequem nach Hause liefern. Was es braucht, damit unsere Verkehrswege so gut funktionieren, fragen wir uns kaum. Wird uns diese Infrastruktur auch künftig in der Art und Weise zur Verfügung stehen, an die wir uns längst gewöhnt haben? Der Experte sagt: «Jein.»

Dass der Strom fliesst, das Wasser aus dem Hahn kommt und der Verkehr rollt, schauen wir in der Regel als gegeben an. «Doch das ist ein Irrtum», sagt Matthias Finger, emeritierter Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL). Ein Arbeitsleben lang hat er sich mit der Entstehung und der Weiterentwicklung der kritischen Infrastrukturen befasst. Damit sind die für die Schweiz essenziellen Versorgungsnetzwerke wie Strom, Wasser und Telekommunikation sowie die Verkehrsnetze gemeint. «Die meisten Menschen sind sich nicht bewusst, wie viel Aufwand nötig ist, damit alles so funktioniert, wie wir es heute kennen», sagt Finger und fügt an: «Doch die Schweiz ist aus- und zugebaut, wir kommen langsam, aber sicher ans Limit.»

Dass dennoch vieles auf höchstem Niveau rundlaufe, sei ein Luxus und in einem hoch industrialisierten Land wie der Schweiz gerechtfertigt. «Doch kann jederzeit etwas passieren, zum Beispiel ein Strom-Blackout durch ein Unwetter.» Kurz: Die Infrastrukturen sind auch in der Schweiz nicht selbstverständlich, sie bedürfen sorgfältiger Pflege.

System kommt an seine Grenzen
Schauen wir in der Geschichte einige Jahrzehnte zurück, sehen wir, dass seit dem Zweiten Weltkrieg und bis Ende der 1970er-Jahre ein riesiger Wachstumsschub bei den Schweizer Infrastrukturen stattgefunden hat. Dies sei grundsätzlich erfreulich, findet Matthias Finger, denn es erleichtere das Leben.

Das Schweizer Strassennetz habe man damals insbesondere aufgrund des Autobooms der Nachkriegszeit entwickelt, führt der Experte weiter aus. Finanziert wurde und wird es durch die öffentliche Hand. Heute ist es fast fertig ausgebaut. Dank der Nationalstrassen entstanden Verbindungen zwischen Städten und Agglomeratio­­nen, und die grössten Tourismus­regionen konnten erschlossen werden. Ausserdem ist die Anbindung ans Ausland gewährleistet, was auch dem internationalen Transitverkehr zugutekommt. Doch seit 1970 haben die Personenmobilität und der Gütertransport jedes Jahr um rund zwei Prozent zugenommen. Vor allem die Nationalstrassen sind am Limit, was Staus und Zeiteinbussen zur Folge hat. Um das System zu entlasten, müssten gemäss Matthias Finger eigentlich weitere Nationalstrassen gebaut werden. Dies sei jedoch schwierig bis unmöglich umzusetzen, weil nicht genügend Platz vorhanden sei.

Kritische Infrastrukturen
in der Schweiz

Unter kritischen Infrastrukturen werden Dienstleistungs- und Versorgungssysteme verstanden, die essenziell für die Wirtschaft beziehungsweise die Lebensgrundlage der Bevölkerung sind. Dazu gehören zum Beispiel die Strassen-, Energie- und Wasserversorgungssysteme, aber auch Systeme der Telekommunikation sowie die Nahrungsmittel- und die Gesundheitsversorgung. Das Wort «kritisch» bezieht sich dabei auf die Systemrelevanz dieser Infrastrukturen. Das heisst, bei einem Ausfall würden nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe entstehen.

Relevanz der Schweizer Strassen
Den Schweizer Strassen attestiert der Bund eine sehr hohe Bedeutung. Langfristige und grosse Störungen im Strassenverkehrsnetz würden sich auf beinahe alle Lebensbereiche auswirken. Nachfolgend diejenigen Sektoren, die am meisten vom Verkehrsnetz abhängig sind:


Quelle: Bundesamt für Bevölkerungsschutz

Ein Land mit zwei Rückgraten
Matthias Finger bezeichnet die Schweiz bildhaft als «grosse grüne Stadt». Die Alpen und ihre Natur sieht er als Park, die meisten anderen Gebiete sind allerdings von uns Menschen gestaltet. In diesem System sind die zwei Haupt­verkehrsachsen ein zentrales Element: von Osten nach Westen und von Norden nach Süden – also von der Ostschweiz nach Genf, von Basel nach Chiasso. «Dies sind die Verbindungen, in die es sich noch vermehrt zu investieren lohnt», sagt Matthias Finger. Er nennt diese Routen auch «Rückgrate des Landes». Daneben finde die «Feinverteilung» statt. Gemeint sind die kleineren Strassen und Bahnstrecken, die für viele Menschen rund um ihre Wohn- und Arbeitsorte wichtig und bereits sehr gut ausgebaut sind.

Und was rät der Experte, damit wir die Infrastruktur auch künftig wie gewohnt nutzen können? «Man muss klare Prioritäten setzen», findet er. Dazu gehört, weiterhin dafür zu sorgen, dass die Hauptverkehrsachsen funktionieren. Das heisst auch, ge­nügend Mittel zur Verfügung zu stellen, um die Verkehrsnetze auf dem heutigen Niveau instand halten zu können.

Zudem verweist Matthias Finger auf Chancen wie die Digitalisierung, welche die Abläufe effizienter machen und viel Potenzial mit sich bringen. Der wichtigste Aspekt sei aber weder materiell noch technisch. «Die Leute aus den unterschiedlichen Branchen und Ländern müssen zusammenar­beiten», sagt er. «Denn letztendlich findet alles im gleichen Raum statt – Strassen, Schienen, Strom – und unser Leben.»

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