Interview: Jürg Aegerter
Fotomontage: Nicole Bernhardsgrütter
Erik Linden
M.A. HSG, ist Mitverfasser einer umfangreichen HSG-Studie zur Zukunft der Mobilität.
Erik Linden, in 30, 40 Jahren, wie sind wir dann unter-wegs? Schweben wir in Raumkapseln oder Drohnen durch die Gegend?
Interessante Frage, aber schwer zu beantworten (lacht). Welche Innovationen sich durchsetzen werden, ist schwer vorauszusagen. Ich wünsche mir, dass wir uns in Zukunft mit möglichst nachhaltigen, sicheren und autonomen Systemen fortbewegen können. Mein Traum ist, dass wir mit individuellen Verkehrsmitteln so gut wie nie mehr im Stau stehen und im öffentlichen Verkehr fast keine Umsteigezeiten haben.
Wie wahrscheinlich ist das?
Technologisch ist vieles möglich, da bin ich optimistisch. Wir müssen uns als Gesellschaft auch die Frage stellen: Was wollen wir? Das Mobilitätssystem muss in sich schlüssig sein, die Mobilitätsträger nachhaltig, ökonomisch, sicher – und für alle zugänglich.
Die Mobilität ist ein Megatrend, der starken Einfluss auf unser Leben hat und gemäss Ihrer Studie seit über 100 Jahren ständig zunimmt. Geht es einfach so weiter?
Wir sind an sich ja in einem schönen Stadium in unserer Geschichte. Wir sind mobil wie nie zuvor. Diese extreme Freiheit hat ihren Preis: Autos, die viel Platz brauchen und nicht klimaverträglich sind, Autobahnen, Zugtrassen … Und das geht vermutlich so weiter. Mobilität ist eine Priorität – und sie ist ein Freiheitsgrad. Mobilität steht für Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit.
Also immer mehr Verkehr und immer grössere Probleme?
In der Schweiz haben wir zwar Staus, aber das ist Jammern auf sehr hohem Niveau – vor allem, wenn man mit Megastädten vergleicht. Da sind die Strassen chronisch verstopft und die Luftqualität ist mies.
Ist Verzicht die Lösung?
Die Klimadebatte zeigt Folgen. Beim Flugverkehr beobachten wir in einigen Ländern tatsächlich eine Trendumkehr. In Skandinavien sehen wir den Trend, dass weniger geflogen wird. Allerdings ist Verzicht aus meiner Sicht eine Übergangsphase. Wenn es in 30 Jahren Technologien gibt, die zu 100 Prozent nachhaltig und sicher sind, dann gibt es für mich keinen Grund mehr, auf Mobilität zu verzichten.
Hilft die Digitalisierung, den Verkehr zu verringern?
Ja. Durch die Digitalisierung wird zum Beispiel autonomes Fahren möglich. Solche Systeme werden aber erst dann akzeptiert, wenn sie sicher sind. Dank der Digitalisierung können zudem immer mehr Menschen von Zuhause aus arbeiten. In vielen Jobs – in einer Schule oder in einem Produktionsbetrieb – ist das auf Dauer aber nicht möglich. Und: Der menschliche Austausch bleibt wichtig. Der neue Campus an der Universität St.Gallen zum Beispiel ist auf zwischenmenschliche Begegnung aufgebaut – und nicht auf digitale Kommunikation.
Beim Auto ist der Elektroantrieb zurzeit das grosse Thema. Setzt sich diese Technik durch?
Wahrscheinlich wird der herkömmliche Verbrennungsmotor von der Bildfläche verschwinden. Ob sich Elektromotoren durchsetzen, ist offen und hängt von vielen Faktoren ab, nicht nur von der Automobilindustrie selbst. Es braucht enorme Investitionen in die Infrastruktur. Bei Elektroautos gibt es ökologische Fragezeichen. Was geschieht mit den Batterien? Woher kommt der Strom? Wir brauchen wirklich nachhaltige Systeme. Die gibt es jetzt noch nicht.
Werden autonome, also selbstfahrende Autos in 30 Jahren gang und gäbe sein?
Technologisch wird dies wohl möglich sein. Allerdings brauchen solche Systeme vor allem eines: Akzeptanz. Heute ist das Vertrauen in die Sicherheit von autonomen Mobilitätsträgern noch nicht sehr gross.
Ein weiteres Thema in Ihrer Studie ist das Mobilitäts-Sharing, also das Teilen von Autos. Ist das die Zukunft?
Grundsätzlich geht die Entwicklung vom Besitzen zum Nutzen. Es muss aber Lösungen geben, die dem Einzelnen einen höheren Nutzen stiften als ein eigenes Auto. Mein Traum ist ein vernetztes und intelligentes System: Es sind überall Fahrzeuge zugänglich, ich kann ein- und aussteigen, wo ich will.
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