Selbstfahrende Autos: Was einst wie Science-Fiction anmutete, ist mit dem technologischen Fortschritt in greifbare Nähe gerückt. Richtig in Fahrt gekommen ist die neue Art der Mobilität aber noch nicht. Warum das so ist, weiss Andreas Herrmann, Experte für autonomes Fahren. Er nimmt uns mit auf eine Autofahrt – und auf eine Reise in die Zukunft der Mobilität.
«Autonomes Fahren ist viel harmonischer, als wenn der Mensch am Steuer sitzt.»
Andreas Herrmann, Professor am Institut für Mobilität, Universität St.Gallen
Andreas Herrmann ist Professor und leitet das Institut für Mobilität der Universität St.Gallen. Passend zum Forschungsschwerpunkt liegt das Gebäude mitten im Stadtzentrum, wo verschiedene Verkehrsmittel aufeinandertreffen: nebenan der Bahnhof, vor der Tür eine Bushaltestelle und die Schienen der Appenzeller Bahnen. Über die Kreuzung an der Hausecke rauschen Autos. «Für Parkplätze ist hier kein Platz»,sagt Herrmann und führt uns ein paar Strassen weiter zu seinem Auto.
Herrmann kennt das autonome Fahren aus Theorie und Praxis. 2018 fuhr er zum ersten Mal in einem autonomen Fahrzeug: ein Rennwagen mit 650 PS, der ohne Pilot über die Rennstrecke in Barcelona raste. Mit fast 300 km/h. «Die erste Runde war beängstigend; die zweite hat dann richtig Spass gemacht», erinnert er sich.
Misstrauen gegenüber Roboterautos
Unterdessen hat Andreas Herrmann sein Auto in den Nachmittagsverkehr eingefädelt. Es ist ein Modell, das wie die meisten Neuwagen mit verschiedenen Assistenzsystemen wie Spurhalte-, Park- und Totwinkelassistent ausgerüstet ist. «Den Bremsassistenten brauchen wir heute hoffentlich nicht», sagt Herrmann. Die Autos der Zukunft werden dereinst selbstständig losfahren – ausgerüstet mit über einem Dutzend Kameras, Radar und dem sogenannten Lidarsystem, das 3D-Bilder liefert. Diese drei Sensorsysteme ermöglichen eine 360-Grad-Wahrnehmung der Umgebung rund ums Auto. In Verbindung mit künstlicher Intelligenz kann das Fahrzeug auch komplexe Verkehrssituationen interpretieren und entsprechend reagieren.
Noch ist die Skepsis gegenüber der neuen Technologie gross. Eine im Juni 2024 publizierte Studie der Universitäten St.Gallen und Luzern zeigt, dass ein Grossteil der Befragten kein selbstfahrendes Auto kaufen würde. Oft wegen falscher Vorstellungen. «Man muss die Präzision des Fahrens erleben. Es ist viel harmonischer, als wenn der Mensch am Steuer sitzt», sagt Herrmann. Und viel sicherer: In der Schweiz werden 90 Prozent der Unfälle durch menschliches Versagen verursacht. Kommt hinzu, dass viele gern Auto fahren und damit ein Lebensgefühl verbinden. Auch die Automobilindustrie sei zurückhaltend, ergänzt der Experte, denn sie verdiene mit dem Verkauf dieser Emotionen gutes Geld.
Dabei liegen die Vorteile der autonomen Mobilität auf der Hand: weniger Unfälle, weniger Staus, weniger Abgase. Der Weg dahin ist allerdings noch weit. In der Schweiz gab es auf lokaler Ebene Pilotprojekte. «Nun braucht es eine grosse Modellregion, in der mehr Menschen die Mobilität der Zukunft erleben können», sagt der Forscher und fügt an: «Dafür braucht es Mut und den politischen Willen.» Die rechtlichen Grundlagen für das automatisierte Fahren sind auf der Zielgeraden. Sie
regeln die Bedingungen, unter denen ein autonomes Fahrzeug in der Schweiz zugelassen werden kann. Im Frühling 2023 hat das Parlament das Strassenverkehrsgesetz angepasst. Die Verordnungen dazu treten Anfang 2025 in Kraft.
Professor Herrmann ist überzeugt: Autonome Fahrzeuge machen den zukünftigen Strassenverkehr sicherer.
Andreas Herrmann ist Professor für Betriebswirtschaftslehre. Seit 2001 forscht und lehrt er an der Universität St.Gallen und leitet aktuell das Institut für Mobilität. Sein Forschungsschwerpunkt ist das autonome Fahren. Neben der akademischen Tätigkeit arbeitet er mit Fahrzeugherstellern der Volkswagen-Gruppe zusammen (Audi, Porsche, Volkswagen).
Bereits auf den Strassen angekommen sind autonome Fahrzeuge in Shanghai. Dort kann innerhalb eines bestimmten Gebiets per App ein selbstfahrendes Taxi gebucht werden; Zu- und Ausstieg erfolgen an den Bushaltestellen. Auch in San Francisco kurven Robotertaxis durch die Strassen. Nun ziehen erste europäische Städte nach: Bis 2030 sollen in Oslos Innenstadt 30’000 selbstfahrende Fahrzeuge unterwegs sein; Hamburg plant 10’000.
Abschied vom Privatauto
«Heute werden Autos völlig ineffizient verwendet. Sie befördern oft nur eine Person und stehen die meiste Zeit auf einem Parkplatz», bilanziert Andreas Herrmann. In der Schweiz sind 4,8 Millionen Personenwagen immatrikuliert (Stand 2023). Die privaten Autos könnten dereinst durch autonome Taxis ersetzt werden, die rund um die Uhr unterwegs sind. Dadurch würde sich die Menge der Fahrzeuge erheblich reduzieren. Herrmann zeigt auf eine Reihe am Strassenrand parkierter Autos: «Das würde auch die Innenstädte verändern: weniger Parkplätze, dafür mehr Begegnungszonen.» Und ergänzt, dass die Schweiz mit ihrer exzellenten Verkehrsinfrastruktur geradezu prädestiniert sei für den Einsatz modernster Fahrzeugtechnologie.
Metropolen mit chronisch überlasteten Strassen haben bereits die Bremse gezogen. In London müssen neue Immobilienprojekte im Zentrum ohne Parkplätze geplant werden. Und Paris wird zu einer sogenannten 15-Minuten-Stadt umgebaut: Alles, was man im Alltag braucht, ist in maximal einer Viertelstunde per Velo oder zu Fuss erreichbar, grosse Fahrzeuge sollen hingegen aus der Innenstadt verbannt werden. Unbestritten ist aber, dass alle Verkehrsteilnehmenden eine hochwertige Unterlage benötigen, die in einwandfreiem Zustand ist.
Auch in der Schweiz?
Wir fahren zurück in Richtung Zentrum. Andreas Herrmann geht davon aus, dass selbstfahrende
Autos nicht nur unser Mobilitätsverhalten und die Innenstädte verändern, sondern auch die Automobilindustrie. In Zukunft zählt weniger das Chassis, sondern vor allem die Software. Darum entwickeln sich im Silicon Valley und in Israel neue Zentren der Mobilitätsindustrie. «Hier könnte auch die Schweiz mitmischen mit innovativen Pilotprojekten», sagt Herrmann. Noch gibt es aber viele Fragen: Sind Autofahrer bereit, auf den eigenen fahrbaren Untersatz zu verzichten? Wie sicher
navigieren Roboterautos in einer Risikosituation und bei dichtem Nebel? Was würde die neue Form der Mobilität kosten – und wer soll es bezahlen? Bis das Auto in der Schweiz das Steuer komplett übernimmt, wird es wohl noch eine Weile dauern.
Fotos: Beat Belser
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