Das Schweizer Autobahnnetzwerk ist ein gigantisches Bauwerk, das grundlegende Veränderungen mit sich brachte: Die Wege wurden kürzer, die Agglomerationen wuchsen. Kernstück des Baus in der Ostschweiz ist die St.Galler Stadtautobahn. Deren Erweiterung wird aktuell – gut 30 Jahre nach ihrer Eröffnung – diskutiert.
Text: Urs-Peter Zwingli
Bilder: Chris Oswald
Das Netz der Schweizer Nationalstrassen ist rund 1900 Kilometer lang. Das Herzstück dieses grössten Bauwerks der Schweizer Geschichte ist die Autobahn A1. Mit der A1, die das Land von Genf bis St.Margrethen auf 410 Kilometern durchmisst, verbinden die Schweizerinnen und Schweizer vieles: Als Hauptstrasse des dicht besiedelten Mittellandes hat die A1 auch emotionale Aspekte. Davon zeugen die Lieder «N1» (wie die A1 früher hiess), das Toni Vescoli 1983 schrieb, und «A1», das der Berner Rapper Baze 2018 veröffentlichte. «Du bisch d’Bluetbahn vo mim Land / mit emne Pulsschlag zwüsche null und hundertachzg», rappt Baze darin.
Eine Blutbahn also, deren spezielle Bedeutung für die Ostschweiz bereits vor über 30 Jahren betont wurde: «Wegen seiner Lage am Rand der Schweiz ist der Kanton St.Gallen besonders auf gute Strassenverbindungen mit der übrigen Schweiz angewiesen», heisst es im 1985 vom kantonalen Amt für Kulturpflege veröffentlichten Buch Der Kanton St.Gallen – Landschaft, Gemeinschaft, Heimat. 1969 war die Ostschweiz mit dem 48 Kilometer langen Autobahnteilstück Winterthur – St.Gallen ans nationale Strassennetz angeschlossen worden – ein Jahr nach der Gründung der MOAG.
Heute passieren täglich 80’000 Fahrzeuge die Stadtautobahn; 1990 waren es noch 45’000. Zu Spitzenzeiten stösst sie an ihre Kapazitätsgrenze. Eine Anpassung wird erforderlich.
Stadtautobahn entlastet 1987 St.Gallen
1987 wurde in der Stadt St.Gallen zudem die zehn Kilometer lange Stadtautobahn nach zehn Jahren Bauzeit mit vier städtischen Zubringern eröffnet.
Schlüsselteile des Baus mit Kosten von 780 Millionen Franken sind der 1,4 Kilometer lange Rosenbergtunnel und der 850 Meter lange Tunnel zum Anschluss Kreuzbleiche. «Mit dem Bau des Rosenbergtunnels verlagerte sich der Verkehr vom Stadtgebiet auf die Autobahn.
Das steigerte die Lebensqualität für die Stadt St.Gallen deutlich», sagt Sascha Bundi, Leiter Mobilität und Planung beim Tiefbauamt des Kantons St.Gallen. Zuvor sei der gesamte Verkehr über Hauptachsen wie die Rorschacher-, Zürcher- oder die St.Jakob-Strasse und im Zentrum über den Bohl geleitet worden. «In der Stadt herrschte regelmässig kilometerlanger Stau.»
Von den Auswirkungen des wachsenden Autoverkehrs berichtet 1979 das Buch St.Gallen – Antlitz einer Stadt: Die Anwohner der Hauptachsen verliessen die Stadt scharenweise. Laut dem Buch nahm zwischen 1965 und 1976 die Bevölkerung entlang der Rosenbergstrasse um 27 Prozent ab, entlang der St.Jakob-Strasse um 28 Prozent und entlang der Teufener Strasse um 21,5 Prozent.
Mehr Platz und mehr Unternehmen in der Stadt
Weil die neue Stadtautobahn viel vom städtischen Verkehr schluckte, entstand laut Verkehrsplaner Bundi auch Raum für den Ausbau der Infrastruktur für den öffentlichen Verkehr, den Fussgänger- und Veloverkehr. «Die Stadtautobahn hat auch für mehr Sicherheit auf städtischen Strassen gesorgt.»
«St.Gallen war vor der Autobahneröffnung zudem sehr peripher gelegen», sagt Bundi. Die bessere Erreichbarkeit aus dem Rest der Schweiz habe die Ansiedlung von Unternehmen erleichtert. Der nationale Autobahnbau habe die Schweiz sozusagen geschrumpft: Wege, für die man früher auf Überlandstrassen einen Tag einplanen musste, waren plötzlich innert weniger Stunden machbar.
Ein Nebeneffekt dieser Entwicklung sei die starke Zersiedelung des Landes, sagt Bundi. In der Ostschweiz sind Agglomerationsgemeinden wie Teufen, Mörschwil, Wittenbach oder Abtwil mit dem Aufkommen von Auto und Autobahn ab den 1960er-Jahren förmlich explodiert. «Die dortigen Bodenpreise waren tief und durch die bessere Erreichbarkeit wurden die Aussengemeinden als Wohnlagen attraktiv», sagt Bundi.
Die Autobahn hat Agglomerationsgemeinden attraktiver gemacht. Kaum mehr vorstellbar, dass Abtwil bis in die 1960er Jahre ein Bauerndorf war.
Abtwil: vom Bauerndorf zur Pendlergemeinde
Als Beispiel für (Ost-)Schweizer Agglomerationsgemeinden sei hier Abtwil aufgeführt: Bis 1960 war die St.Galler Gemeinde ein Bauerndorf. Durch die steigende (Auto-)Mobilität wurde Abtwil als Wohnlage für jene begehrt, die in der Stadt arbeiteten, aber auf dem Land leben wollten. So entstand innert weniger Jahre am Abtwiler Sonnenberg ein grosses Quartier aus Einfamilienhäuser, wo vorher Bauern ihre Wiesen bewirtschaftet hatten. Das Wachstum war rasant: Von 1964 bis 1984 verdoppelte sich die Abtwiler Wohnbevölkerung. Parallel dazu verschoben sich die örtlichen Arbeitsplätze aus der Landwirt- schaft in den Dienstleistungssektor. Für die 1993 im Auftrag des Bundes vom St.Galler Kultur- und Kunstwissen- schaftler Peter Röllin durchgeführte Studie «Vertrautes wird fremd – Fremdes vertraut, Ortsveränderung und räumliche Identität» wurde auch Abtwil untersucht. Bei der Befragung von Bewohnerinnen und Bewohnern zeigte sich, dass der rasche Wandel teils überforderte: Alteingesessene fühlten sich im neu gebauten Abtwil fremd, Mütter und Kinder waren vom stark gewachsenen Verkehr auf der Dorfstrasse überfordert. Gleichzeitig entstanden durch die Zuzüger Initiativen wie etwa der Familientreffpunkt «Chinderhüsli» und politische Vereinigungen.
Frühestmöglicher Baubeginn für die Erweiterung der Stadtautobahn ist 2031.
Blick in die Zukunft: Kanton will Erweiterung
Nun, gut 30 Jahre nach der Eröffnung der Stadtautobahn, arbeitet der für den Nationalstrassenbau zuständige Bund darauf hin, diese zu erweitern. «Der Verkehr hat seit der Eröffnung der Stadtautobahn aufgrund von Bevölkerungswachstum und steigendem Mobilitätsbedürfnis zugenommen. Die Stadtautobahn konnte viel von dieser zusätzlichen Verkehrsmenge aufnehmen», sagt Verkehrsplaner Bundi. Heute fahren täglich 80’000 Fahrzeuge durch den Rosenbergtunnel. 1990 waren es noch 45’000 gewesen, wie der Kanton auf www.zubringer-gueterbahnhof.ch vorrechnet. «In Spitzenzeiten stösst die Autobahn heute aber an ihre Kapazitätsgrenze. Kleinste Störungen führen zu Behinderungen und Staus», heisst es auf der Webseite. Und weil 85 Prozent der Fahrten auf der Autobahn im St.Galler Stadtgebiet starten oder enden, liessen solche Störungen das städtische Verkehrsnetz zusammenbrechen. Es sei damit zu rechnen, dass solche Probleme in den nächsten 20 Jahren häufiger auftreten.
Diese Situation soll laut den Projektverantwortlichen (Bundesamt für Strassen, Kantone St.Gallen und Appenzell Ausserrhoden, Stadt St.Gallen, Gemein- de Teufen) die «Engpassbeseitigung St.Gallen» vorantreiben. Sie besteht aus drei Teilprojekten:
Je nach Verlauf der Prozesse bei Bund und Kanton werden die Projektpläne 2024 oder 2028 öffentlich aufgelegt. Frühestmöglicher Baubeginn ist danach 2031, wobei der Kanton von sieben bis zehn Jahren Bauzeit ausgeht.
Wirtschaftsverbände für die Erweiterung
Hinter die Erweiterung stellt sich die IG Engpassbeseitigung. In der überkantonal aufgestellten IG sind der TCS und ACS St.Gallen und die Verbände HEV St.Gallen, Wirtschaft Region St.Gallen, Gewerbe Stadt St.Gallen, die Ostschweizer Astag-Sektion sowie der Gewerbe- verband des Kantons Thurgau vertreten. Walter Locher, FDP-Kantonsrat und Präsident der IG Engpassbeseitigung, sagt: «Das gemeinsam von Bund, den Kantonen St.Gallen und Appenzell Ausserrhoden, der Stadt St.Gallen und der Gemeinde Teufen präsentierte Projekt ist in unserem Sinne.» Auch die grundsätzliche Einigung beim Kostenteiler sei eine wichtige Grundlage, um nun die generellen Projekte zu starten. «Die für die Region genannten Projektkosten von 150 bis 200 Millionen Franken zeigen, dass eine Realisierung tatsächlich finanzierbar ist», sagt Locher. Vorgesehen ist demnach, dass die Kantone St.Gallen und Appenzell Ausserrhoden, die Stadt St.Gallen und die Gemeinde Teufen für die Kosten für die Anschlüsse an die Stadt und den Tunnel Liebegg aufkommen. Die Aufwendungen für die dritte Röhre im Rosenberg, die Pannenstreifenumnutzung sowie den Zubringertunnel zum Zubringer Güterbahnhof trägt der Bund.
Laut der IG würde die Erweiterung den Verkehr auf der Autobahn und in der Stadt verflüssigen und die regionale Erreichbarkeit sicherstellen – Effekte also, die auch schon beim ursprünglichen Bau der Stadtautobahn 1987 erwünscht waren.
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