«Das persönliche Engagement der Beteiligten war enorm.»
Wer mit einem EAuto der Mittelklasse für ein Winter wochenende in eine abgelegene Berghütte fährt, geht ein gewisses Risiko ein, auf der Rückfahrt stehen zu bleiben und die nächste Garage anrufen zu müssen. Die Fachleute kennen ein Wort für diese Sorge: Reichweitenangst.
Heute haben gemäss TCS 70 Prozent der Stromer eine Reich weite von 370 bis 470 Kilometern – ein wenig knapp, wenn die Kälte der Batterie zusetzt und man etwas Reserve haben will, etwa falls man sich verfährt. Die neuesten Modelle im PremiumSegment kommen zwar bis auf 600 Kilometer – doch nicht jeder kann oder will sich einen E-Mercedes leisten. Wann wird es also möglich sein, mit dem E-Toyota oder E-VW so sorgenlos ins Blaue zu fahren wie mit einem Verbrennermodell?
Die kurze Antwort: schon bald. Doch vor dem Blick nach vorn einer zurück. Denn die Konkurrenz zwischen Benziner und Stromer reicht länger zurück, als man vielleicht meint. Bereits bei der Er findung des Automobils um die Wende zum 20. Jahrhundert entbrannte ein folgenreicher Wettbewerb der Antriebe, den der Verbrennungs gegen den Elektromotor für sich entschied. «Das lag wohl vor allem an der Energiedichte», weiss Andreas Burgener, ausgebildeter Ingenieur und Direktor von Auto Schweiz, dem Verband der Autoimpor teure. «Benzin beinhaltete mehr Energie pro Gewicht als damalige Bleibatterien.»
Oberstes Kriterium: Ausdauer
Erst in den 1970er und 1980erJahren, als das ökologische Bewusstsein erwachte, kündete sich mit solar betriebenen Autos ein Comeback des Elektromotors an. «Das kam aus der alternativen Ecke», erinnert sich Bur gener, der damals studierte. «Erst Tesla schaffte vor etwas mehr als zehn Jahren den Durchbruch, und zwar mit Leis tung.» Die Fahrzeuge des US-Auto bauers hatten einen Motor, der denjeni gen deutscher Edelschlitten die Stirn bot. Nur in einem Punkt blieben diese Autos vorerst nicht konkurrenzfähig: der Ausdauer.
«Punkto Leistung haben Elektromotoren die Verbrenner mindestens eingeholt», sagt Burgener. «Der neue Kennwert ist die Reichweite.» Wird es dort bald wei tere Fortschritte geben? Christian Bauer ist überzeugt davon. Bauer, der am Paul Scherrer Institut im Kanton Aargau über die ökologischen Auswirkungen der E-Mobilität forscht, sagt: «Die heuti ge LithiumIonen-Technologie der Batterien wird innerhalb der nächsten 10 oder 15 Jahre wohl so verbessert wer den, dass sich die Batterieleistung von E-Autos verdoppelt.» Ein Beispiel für diesen Sprung, der bereits am Horizont auftaucht: Toyota hat für die zweite Hälfte dieses Jahrzehnts die Einführung einer Feststoffbatterie angekündigt, die im Unterschied zu herkömmlichen Speichern aus festen statt aus flüssigen Elektrolyten besteht.
Ausbau der Ladeinfrastruktur
Damit will Toyota bis 2030 die Batterie leistung um 30 Prozent erhöhen. Der japanische Autoriese denkt dabei aber nicht in erster Linie an die erhöhte Batterieladung, sondern er will mit der neuen Technologie vor allem die Akkus, die teuerste Komponente des E-Autos, kleiner und billiger machen. Auch Christian Bauer erwartet, dass aus die sem Grund bei EAutos der Ausbau der Reichweite bei etwa 600 Kilometern stoppen wird. «Kaum jemand braucht mehr», ist er überzeugt. Bereits heute bieten gewisse Autobauer ihre Stromer schon nach dem Baukastensystem an – mit kleinerer oder grösserer Batterie, je nach Bedarf der Kundinnen und Kunden. «Das könnte in der ganzen Autoindustrie Schule machen», sagt Bauer.
Sowohl der Forscher als auch Autoimporteur-Chef Andreas Burgener beto nen: Die eigentliche Herausforderung in der Umstellung vom benzin zum strombetriebenen Strassenverkehr liegt nicht in der Batterietechnologie, son dern in der Umrüstung der Infrastruktur. Sprich: im Aufbau eines dichten Netzes von E-Tankstellen. Je mehr es von ihnen gibt, desto weniger wichtig wird die Reichweite von E-Autos. Derzeit liegt die Schweiz hier mit 1,7 Ladepunkten pro zehn Fahrzeugen gut im Rennen, auch im Vergleich mit europäischen Ländern. Sie stehen an der Autobahn, in Autogaragen, Einkaufszentren, auf Firmenparkplätzen oder zu Hause. Jedoch sind nur 20 Prozent der Ladepunkte Schnellladestationen – an den anderen E-Zapfsäulen muss das Auto stundenlang aufladen, was praktisch nur am Arbeitsplatz oder zu Hause sinnvoll ist.
«Die Technologie wird innerhalb der nächs- ten 10 oder 15 Jahre wohl so verbessert werden, dass sich die Batterieleistung von E-Autos verdoppelt.»
Christian Bauer
Strom ist der kritische Faktor
Eine weitere wichtige Frage: Kann dieser Ausbau mit dem exponentiellen Wachs tum der EAutos mithalten? 2022 waren bereits ein Viertel der Neuwagen reine Stromer oder Hybride mit Elektro- und Benzinmotor. Zwar wollen immer mehr Hausbesitzer, Autogaragen oder Einkaufszentren E-Ladepunkte aufstellen. «Doch oft ist das lokale Elektrizitätswerk gar nicht in der Lage, diesen zusätzli chen Strom zu liefern», weiss Burgener aus Gesprächen mit Autogaragisten.
Er findet deshalb, auch angesichts der aktuell drohenden Stromknappheit, dass der Ausbau der E-Mobilität von der falschen Seite angegangen worden ist. «Man hätte erst die erneuerbaren Ener gien ausbauen und erst dann den Verkehr umstellen sollen.»
Auch Forscher Christian Bauer fordert einen ganzheitlichen Blick. «Wenn ein E-Auto mit Strom aus Gaskraftwerken fährt, ist ökologisch nichts gewonnen», sagt er. Derzeit produziere man zwar genügend erneuerbare Energie für EAutos – doch die reinen Stromer betrugen 2022 bei den Pkw gemäss Bundesamt für Statistik erst 2,3 Prozent. Wenn im EURaum ab 2035 keine Benziner mehr zugelassen werden, ist sich Bauer sicher, wird auch in der Schweiz die Anzahl der E-Autos noch einmal sprunghaft zunehmen. «Zwar brauchen wir, wenn wir den gesamten Verkehr von Benzin auf Strom umstel len, nur 10 bis 15 Prozent mehr Strom», sagt Bauer. «Doch wenn wir zeitgleich die Atomkraftwerke abstellen, wird das eine Herausforderung.»
Auch wenn also Infrastruktur wichtiger ist als die Batterie: Je länger es dauert, die benötigten Ladestationen aufzubau en, desto wichtiger wird die Reichweite bleiben, um sorgenfrei einen Ausflug zu planen.
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