«Mobil zu sein, bedeutet Freiheit»

Im der asphaltprofi-Interview blickt die Wilerin Susanne Hartmann auf ihren Einstieg als St.Galler Bauchefin zurück – und stellt sich Fragen zur Zukunft im Strassenbau.

Interview: Urs-Peter Zwingli

Zur Person

Susanne Hartmann ist 1970 in Wil geboren. Sie arbeitete als Primarlehrerin und studierte Rechtswissenschaften. Ab 1997 sass sie für die CVP im Wiler Stadtparlament, 2012 wurde sie Stadtpräsidentin. Im März 2020 schaffte die Politikerin den Sprung in die Kantonsregierung.

Susanne Hartmann, wie schauen Sie auf Ihr erstes Amtsjahr zurück?
Besonders wichtig war für mich die Zustimmung des Kantonsrates zum neuen Energiegesetz und zum neuen Energiekonzept. Mit dem Nachtrag zum Energiegesetz senken wir den CO2-Ausstoss von Gebäuden künftig noch mehr. Das Energiekonzept wiederum definiert neue Ziele und Massnahmen bis 2030. Nicht zu vergessen ist, dass der Kantonsrat der Vorlage zur Elektromobilität zustimmte.

Welche Aspekte sind Ihnen beim Strassenbau wichtig?
Wirksamkeit, Qualität und Innovation, Rücksicht auf Mensch und Umwelt, Machbarkeit und Kosten: Alle diese Faktoren muss der Kanton bei seinen Strassenbauvorhaben berücksichtigen. Schliesslich braucht es Lösungen, die Politik und Gesellschaft mittragen und die rechtlichen Überprüfungen standhalten. Das ist eine Herausforderung, weil Strassenbauvorhaben oft polarisieren. So können sich betroffene Anwohnerinnen und Anwohner gegen ein Bauvorhaben stellen, auch wenn der Nutzen für einen grossen Teil der Bevölkerung ausgewiesen ist.

Wie bewerten Sie den Strassenbau in Bezug auf die Ökologie?
Die ökologischen Verbesserungen im Strassenbau sind sehr vielfältig und sind über den gesamten Lebenszyklus der Infrastruktur zu betrachten. Grosses Potenzial sieht das Baudepartement im Einsatz von Recyclingprodukten.

Was ist die Absicht des Kantons in Bezug auf die Ökologie im Strassenbau?
Das kantonale Tiefbauamt hat eine Arbeitsgruppe mit Vertreterinnen und Vertretern des Strassenbaus und des Strassenunterhalts eingesetzt. Sie prüft vor allem den Einsatz von Recyclingprodukten im kantonalen Strassenwesen. Darin sind auch Pilotversuche vorgesehen.

Wegen Corona zeichnet sich ein Spardruck für den Kanton ab. Welchen Einfluss könnte dieser auf Investitionen in die Strasseninfrastruktur haben?
Zum einen finanziert sich die kantonale Strasseninfrastruktur durch zweckgebundene Abgaben. Der Kanton erhält vom Bund Beiträge aus der Mineralölsteuer, der Autobahnvignette und der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe. Zum anderen generiert der Kanton Gelder aus der Strassenverkehrssteuer. Solange die Zweckmittelbindung nicht infrage gestellt wird, könnte ein Spardruck nur aufgrund geringerer Einnahmen eintreten. So würde der Kanton weniger Geld einnehmen, wenn die Mobilität nachlassen würde. Aktuell zeichnet sich dies trotz Corona-Pandemie jedoch nicht ab.

Die Förderung des Fuss- und Veloverkehrs sowie des öffentlichen Verkehrs scheint die politische Diskussion zu dominieren. Gleichzeitig wird der motorisierte Individualverkehr, der die steuerliche Hauptlast für die Infrastruktur trägt, eingeschränkt. Wohin geht diese Entwicklung aus Ihrer Sicht?
Die Bevölkerung wird in den nächsten Jahrzehnten weiter zunehmen und damit auch der Verkehr. Dieses Wachstum soll vor allem durch den öffentlichen Verkehr und den Fuss- und Veloverkehr aufgefangen werden. Alle Verkehrsteilnehmenden, die auf den öffentlichen Verkehr oder das Velo umsatteln, spielen Platz auf den Strassen frei. Dieser kommt dem Autoverkehr zugute. Wichtig scheint mir bei dieser Diskussion, dass die Verkehrsmittel nicht gegeneinander ausgespielt werden.

«Wichtig scheint mir […], dass die Verkehrsmittel nicht gegeneinander ausgespielt werden.»

Sie arbeiten als Frau in der von Männern dominierten Bauwelt. Wie erleben Sie das?
Ich arbeite in erster Linie mit Menschen und nicht mit Frauen oder Männern zusammen. Ich bin dankbar, dass ich mich auf die Fachkompetenz und die Erfahrung meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlassen kann. Selbstverständlich würde ich es aber begrüssen, wenn wir mehr Frauen für «typische» Männerberufe gewinnen könnten.

Welche politischen Themen beschäftigen Sie derzeit?
Das Baudepartement arbeitet aktuell am zweiten Nachtrag für das neue Planungs- und Baugesetz. Damit sollen erstmals inhaltliche Mängel beseitigt und Vorschriften praxistauglicher gestaltet werden. Weniger «politisch», aber dennoch aktuell und bedeutend sind die Architekturwettbewerbe für drei grosse Bauvorhaben: der Neubau der Kantonsschule Wattwil, der Campus Platztor für die Universität St.Gallen und die neue Bibliothek in der Stadt St.Gallen. Im ersten Halbjahr 2021 schliessen wir diese Wettbewerbe ab.

Was ist Ihre Einstellung zur Mobilität?
Mobil zu sein, bedeutet Freiheit. Ausserdem steht die Mobilität für Begegnungen und das Entdecken von Neuem. Ich vermute, das Verlangen der Menschen nach Mobilität bleibt trotz Corona-Pandemie bestehen. Umso wichtiger ist es, diese Mobilität nachhaltig, also nicht auf Kosten künftiger Generationen, zu gestalten.