Nachhaltigkeit

Material mit viel Potenzial

Alten Asphalt entsorgen? Auf keinen Fall! Ausbruchasphalt ist ein wertvoller Rohstoff, der recycelt werden kann – und zwar mehrfach. Allerdings muss dafür das alte und rissige Bitumen wieder fit gemacht werden. Wie das am besten gelingt, hat ein gemeinsames Forschungs­projekt von Universitäten in Deutschland und Österreich sowie der Empa untersucht.

Steigendes Verkehrsaufkommen und zunehmend extreme Witterungseinflüsse belasten unsere Strassen. Der Belag muss darum regelmässig ausgebessert oder sogar vollständig ersetzt werden. In der Schweiz entstehen dabei jährlich zwei bis drei Millionen Tonnen Ausbauasphalt. Der Grossteil des Materials wird in den Anlagen der Asphaltproduzenten verarbeitet und erneut im Strassenbau eingesetzt. Auch die MOAG produziert seit über 40 Jahren Recyclingasphalt und leistet so einen wertvollen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft.

In den letzten Jahren hat das Thema Nachhaltigkeit stark an Bedeutung gewonnen. «Diesen Trend haben auch Behörden und Politik aufgenommen und die Normen für die Verwendung von Recyclingmaterial im Strassenbau rasch angepasst», sagt Peter Bodmer. Als Geschäftsführer der ViaTec AG – ein Labor für Baustoffprüfungen und Asphaltanalyse – beobachtet er die Entwicklungen im Bereich Baustoffrecy­cling mit grossem Interesse. Heute ist in der Schweiz in Tragschichten ein Recyclinganteil von bis zu 80 Prozent erlaubt, in Binderschichten bis zu 60 Prozent und in Deckbelägen bis zu 50 Prozent.

Knacknuss Bitumenregeneration

«Eigentlich sollten wir 100 Prozent des alten Baustoffs wieder für dieselben Schichten weiterverwenden», sagt Prof. Michael P. Wistuba von der Technschen Universität Braunschweig. Mit dem Green Deal, den die EU 2019 vorstellte und der eine klimaneutrale Wirtschaft bis 2050 anstrebt, ist auch die Strassenbaubranche gezwungen, noch mehr CO2 einzusparen. Darum soll zukünftig noch mehr alter Asphalt weiterverwendet werden. Doch wie kann das alte und spröde Bitumen wieder fit gemacht werden? Mit dieser Frage beschäftigte sich unter anderem ein Forschungs­projekt, an dem tech­nische Universitäten aus Deutschland und Österreich sowie die Eidgenössische Material­prüfungs- und Forschungs­anstalt (Empa) beteiligt waren. Michael P. Wistuba von der TU Braunschweig hat das Projekt geleitet; er findet den länderübergreifenden Brückenschlag naheliegend: «Altes Bitumen regenerieren ist für alle eine Heraus­forderung. Darum macht es Sinn, gemeinsam zu forschen.»

Alter Asphalt wird in den drei Ländern allerdings sehr unterschiedlich wiederverwertet. Während Österreich eher zaghaft vorgeht und teilweise ein Downcycling stattfindet, sind einige deutsche Bundesländer sehr innovativ und experimentieren auf Pilotstrecken mit hohen Zugaberaten. Und die Schweiz? Das Thema erhalte aktuell viel Rückenwind, allerdings seien die Voraussetzungen anspruchsvoll, sagt der Asphaltforscher: «Während in Deutschland kilometerlange Strassen ‹abgefressen› werden und die Aufbereitung somit wirtschaftlicher erfolgen kann, gibt es in der Schweiz kaum solche Grossbaustellen.» Neben der kleineren Menge sei auch die schwankende Zusammensetzung des Ausbruchmaterials eine Herausforderung. «Man muss sich genau überlegen, wann es Sinn macht, welche Halde zu verwenden», so Michael P. Wistuba.

«Immer wieder­kehrendes Recycling ist möglich.»

Ausbauasphalt wiederverwerten: Das ist auch möglich, wenn das Material bereits einen Recyclinganteil hat.

Asphaltrecycling ohne Grenzen?

Neben der Auffrischung von Bitumen beschäftigte ein weiterer Aspekt die Forschungsgruppe. Es wurde bereits Asphalt der zweiten Generation verbaut. In absehbarer Zeit wird er wieder ausgebaut und ein drittes Mal ver­wendet. «Darum fragten wir uns: Ist irgendwann Schluss mit dem Wiederverwenden?»

Im Labor wurde der Alterungsprozess von Asphalt simuliert, der Altasphalt mehrfach wiederverwendet und die Gebrauchseigenschaften der Recy­clingmischungen aufwendig geprüft. «Unsere Ergebnisse zeigen, dass altes Material immer wieder mit frischem vermischt werden kann – und zwar ohne Qualitätseinbussen», sagt Michael P. Wistuba. «Weltweit konnten wir zum ersten Mal systematisch nachweisen, dass immer wiederkehrendes Recycling möglich ist.»

Die grösste Herausforderung ist allerdings, das alte Bindemittel, das am Gestein haftet, wieder zu reaktivieren. Für die Verjüngung braucht es frisches Bitumen und oft auch weitere Zusatzstoffe. Der Forscher mahnt hier zur Vorsicht: «Einige dieser Zusätze funktionieren am Anfang, aber dann kommt es zu einer raschen Alterung des Bindemittels.» Zudem sei der Markt für diese Produkte kaum reguliert.

«Ziel ist es, den Baustoff 20, 30 oder sogar 50 Jahre zu nutzen.»

Modernes Messverfahren

Umso wichtiger ist es darum, den Alterungsprozess des Bindemittels möglichst genau zu kennen. «Oft werden noch die gleichen Prüfverfahren wie vor 100 Jahren angewendet, obwohl wir heute ganz andere Bindemittel haben. Darum arbeiteten wir mit modernen rheologischen Verfahren mithilfe des Dynamischen Scherrheometers», sagt der Projektleiter. Damit kann die Vis­kosität (Zähigkeit) des Bitumens bei verschiedenen Temperaturen und Belastungsdauern geprüft werden. «Mit diesem Werkzeug ist das Verjüngen keine Hexerei mehr», betont der Forscher. Auch in der Praxis findet das Verfahren Anklang. Im ViaTec-Labor in Winterthur steht seit zwei Jahren ein Dynamisches Scherrheometer. Peter Bodmer ist von dieser Messmethode überzeugt – und nicht nur er: «Unterdessen prüfen ganz viele Kantone mit dieser Methode, denn sie ist einfach, hochpräzise und kostengünstig.»

Praxisnaher Leitfaden für die Branche

Das Team rund um Michael P. Wistuba hat aus den Forschungsergebnissen einen Leitfaden für die Strassenbaubranche erstellt. Der Guide schlägt eine systematische Vorgehensweise vor zur Prüfung und Freigabe von Rezepturen mit hohen Recyclinganteilen. «Mit dieser einfachen und praxisnahen Systematik lässt sich nachweisen, dass eine neue Rezeptur die geforderten Eigenschaften gemäss Typprüfung erfüllt», bestätigt Peter Bodmer.

Der Leitfaden kann über die Website des Schweizerischen Verbands der Strassen- und Verkehrsfachleute (VSS) bezogen werden. Bis jetzt erhält er von der Branche allerdings nur wenig Beachtung. «Völlig zu Unrecht», finden die beiden Asphaltexperten. «Der Guide ist ein gutes Werkzeug, um Gewährleistungsansprüchen zu entgehen. Wer seinen Baustoff im Detail kennt, kann Schaden abwenden und Risiko minimieren», sagt Michael P. Wistuba, und Peter Bodmer ergänzt: «Die Herstellung von Asphalt setzt CO2 frei. Umso wichtiger ist es, den Baustoff möglichst lange im Kreislauf zu behalten und ihn 20, 30 oder sogar 50 Jahre zu nutzen.»

Dass dies ohne Qualitätseinbussen möglich ist, hat das länderübergreifende Forschungsprojekt bewiesen. Nachhaltigere und langlebigere Strassen sind keine Vision mehr. Jetzt liegt es an der Branche, das Recyclingpotenzial von Ausbruchasphalt voll auszuschöpfen. 

Weitere Infos
Den Leitfaden «Guide VSS 72 001» können Sie online bestellen: mobilityplatform.ch

Bilder: Daniel Ammann

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