Menschen

Logistische Meisterleistung


In der Coop Logistikregion Ostschweiz-Ticino am Standort Gossau sorgen rund 250 Mitarbeitende dafür, dass die Regale in den Supermärkten immer gut gefüllt sind. Die letzte Meile dieser Grund­­-ver­sorgung wird – über das Verteil­zentrum in Gossau – auf der Strasse zurückgelegt. Logistikchef Christoph Eigenmann gibt im Interview einen Einblick, wie dies bewerkstelligt wird.

Christoph Eigenmann, wie viele Lastwagen stehen für die Verteilung der Lebensmittel in Gossau bereit?
Das erraten Sie nie! Die Leute sind immer erstaunt, wenn ich die Zahlen nenne. Wir verfügen insgesamt über 21 Lkw und 13 Sattelzugmaschinen. Dazu haben wir 43 Sattelauflieger und 46 Anhänger. Mit diesen beliefern wir das gesamte Verteilgebiet, jede Verkaufsstelle dreimal am Tag. Grössere Läden wie den Gallusmarkt in St. Gallen zum Teil bis zu fünfmal. Und, was viele nicht bedenken, wir nehmen auch Waren zurück. Wir organisieren die gesamte Entsorgung der Läden. Das heisst, unsere Lastwagen fahren praktisch nie leer.

Diese letzte Meile der Verteilung
findet vorwiegend auf der Strasse statt, stimmt das?

Nicht nur vorwiegend, sondern ausschliesslich. Unsere Fahrer legen gesamthaft im Jahr 2,5 Millionen Kilometer auf der Strasse zurück. Wir sprechen hier aber nur von der Aus­lieferung an die 180 Verkaufsstellen unseres Verteilgebiets. Bei der Verbindung zu den anderen Coop-Verteil­zentren der Schweiz setzen wir auch auf die Schiene – etwa ein Viertel der Waren wird per Bahn mit dem eigenen ahnunternehmen angeliefert. Im Jahr sind das in Gossau etwa 7000 Bahnwagen.

Wie genau spielt sich die Fein­verteilung ab?
Früh am Morgen – mindestens eine Stunde vor Ladenöffnung – erhalten die Verkaufsstellen die Frischware:
Gemüse, Früchte, Patisserie, Convenience, Schnittblumen. Während die Fahrer unterwegs sind, beladen wir in Gossau bereits die nächsten Sattelauflieger. Zwischen halb acht und neun kommen sie retour. Bis Mittag liefern wir die Kühlschiene, Fleisch sowie alle Molkereiprodukte. Bei der dritten Tour am Nachmittag laden wir dann die Aktionen und sämtliche ungekühlten Waren.

Wie können Sie den Bedarf der einzelnen Läden errechnen?
Dafür sind die Filialen verantwortlich. Sie müssen ihre Bestellung für den nächsten Tag bis um elf Uhr ins System eingeben. Wir bestellen dann bei den Produzenten, und diese liefern uns die Ware am Abend. So können wir bereits in der Nacht wieder mit der Beladung der bereitstehenden Sattelauflieger beginnen. Sie sehen: Wir sind von A bis Z durchgetaktet, während 24 Stunden pro Tag, sechs Tage die Woche.

«Auf der letzten Meile ist es in absehbarer Zeit undenkbar, dass wir von der Strasse wegkommen.»

Wie muss ich mir das genau vor­stellen? Wie weiss etwa der Coop in Arbon, wie viele Liter Cola er am nächsten Tag braucht?
Wenn Sie denken, dass hier jemand im Laden herumgeht und die Auslage abzählt, dann täuschen Sie sich. Jedes Mal, wenn ein Pack Cola 6 × 1,5 Liter die Kasse passiert, wird er vom Bestand abgebucht und automatisch nachbestellt. So erhalten wir eine recht verlässliche Übersicht über den Bedarf. Dazu spielt die Erfahrung mit. Die Rayonchefs in den Läden kennen den ungefähren Verbrauch. Sie ziehen zudem das Wetter oder bevorstehende Feiertage in ihre Berechnungen mit ein. Und sie korrigieren das System entsprechend.

Und wie ist das bei Waren, die nicht für den täglichen Gebrauch bestimmt sind?
Hier in Gossau lagern wir vor allem super­schnell drehende Artikel sowie die Frischwaren. Nehmen wir einen sehr grossen Laden wie den Gallusmarkt als Beispiel: Dieser hat rund 70’000 Artikel im Sortiment. In Gossau haben wir davon 10’000 auf Lager.
Alles andere holen wir «just in time» bei den Lieferanten. Der Wein kommt beispiels­weise aus einer nationalen Verteilzentrale in Pratteln. Gossau fungiert dann als Drehscheibe. Das nennt man Cross-Docking. Wir verdichten hier alles, was aus der ganzen Schweiz zusammenkommt. Sodass nur ein Lastwagen den Gallusmarkt anfährt, nicht 100 verschiedene.

Wie wichtig ist es für Sie, dass das Strassennetz in der Ostschweiz gut ausgebaut ist und instand gehalten wird?
Es ist superwichtig! Das A und O unserer täglichen Arbeit. Wir haben einen Vertrag mit unseren Verkaufsstellen und garantieren die erste Lieferung am Tag auf 15 Minuten genau, alle anderen Lieferungen mit einer Genauigkeit von plus/minus einer halben Stunde. Dieses Versprechen können wir nur geben, weil wir eine so gute Strasseninfrastruktur zur Verfügung haben.

Christoph Eigenmann hat sein Berufsleben der Logistik verschrieben und ist seit über 40 Jahren mit grosser Leidenschaft dabei. Er sorgt dafür, dass Einkauf und Verkauf, Lieferungen sowie Warenumschlag reibungslos funktionieren: zuerst bei der Swisscom, später bei der Bon appétit Group und seit 2005 bei Coop. Seit 2016 leitet er dort die Logistik­region Ostschweiz-Ticino.

Müssen Sie grosse Baustellen, zum Beispiel die Sanierung der Stadtautobahn St. Gallen, in Ihre Planung miteinbeziehen?
Natürlich. Wir sind davon aber nicht so sehr betroffen wie andere, denn wir sind antizyklisch unterwegs. Am Morgen starten wir sehr früh, wenn der Individualverkehr noch nicht auf der Strasse ist. Und auch während des Tages vermeiden wir die Rush-Hour.

Wie könnte man aus Ihrer Sicht dem zunehmenden Verkehrsaufkommen am ehesten begegnen?
Die erste Massnahme ist der Ausbau des Strassennetzes. Das heisst: mehr Spuren. Für unsere letzte Meile ist es in absehbarer Zeit undenkbar, dass wir von der Strasse wegkommen. Wir sind aber daran, Wege zu finden, um unsere Flotte nachhaltiger auszurüsten. Derzeit machen wir Versuche mit einem Wasserstoff-Lkw. Meine Prognose ist, dass wir über kurz oder lang in urbanen Gebieten auf Elektrofahrzeuge und auf längeren Strecken auf Wasserstoff oder Gas setzen werden.

Als wie wichtig empfinden Sie das, was Sie im Alltag leisten?
Ich möchte meine Antwort auf unser gesamtes Team ausdehnen. Jeder Job, der hier bei uns in der Verteilzentrale gemacht wird, ist enorm wichtig. Wir haben einen Versorgungsauftrag und sind für das Funktionieren unserer Gesellschaft systemrelevant.

Wie viele Notfallszenarien haben Sie in Ihrer Laufbahn bereits durch­gespielt?
Das Mitdenken von Notfallszenarien ist bei uns ein Dauerzustand. Wir haben unzählige Pläne hinterlegt, was zu tun ist, wenn etwas passiert. Wir verfügen über Ausweichpläne und können unsere Flotte innert kurzer Frist umrouten.

Gibt es für Sie noch Situationen, in denen Sie ins Rotieren kommen?
Eigentlich erschreckt mich fast nichts mehr. Die beste Übung, die wir je durchgezogen haben, war die Pandemie. Als der Lockdown kam, brauchten wir innerhalb von einer Woche 30 Last­wagen mehr. Die Restaurants und Gastronomiebetriebe waren geschlossen. Das Volumen in den Supermärkten nahm um rund 50 Prozent zu. Da wir als Coop auch noch andere Standbeine haben, konnten wir glücklicherweise auf Personal und Fahrzeuge zurückgreifen, die normalerweise in der Gastronomie zum Einsatz kommen. So haben wir das alles irgendwie hingekriegt.

Wie sind Sie persönlich auf der Strasse unterwegs?
Mit dem Auto. Und ich bin viel unterwegs: Ich fahre fast 40’000 Kilometer im Jahr. Dabei habe ich ein Motto: «Nicht stressen lassen».

Und was ist Ihnen an dieser Infrastruktur besonders wichtig?
Dass sie funktioniert! Mir ist aber durchaus bewusst, dass es keine Selbstverständlichkeit ist. Ein guter Freund von mir hat einen Sohn, der im Strassenbau arbeitet. Mit ihm habe ich schon viel darüber diskutiert. Wir empfinden es zwar als Gewohnheit, aber es steckt eine gewaltige Leistung in unserem Verkehrswegenetz.

Launiger Kurztest

Nebenstrassen oder Autobahn?
Nebenstrasse (mit dem Töff!)

Regen oder Schnee?
Regen
 
Kurvenmanöver oder Rückwärtsfahren?
Rückwärtsfahren
 
Lieferwagen oder Sattelschlepper?
Sattelschlepper
 
Tiefkühlprodukte oder Frischware?
Frisches natürlich!
 
Teamarbeit oder Solo?
Teamarbeit
 
St. Gallen oder Appenzell?
St. Gallen
 
E-Mail oder Telefon?
Telefon
 
Coop Qualité & Prix oder Fine Food?
Je nachdem.
 

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