Mobilität

Kurvenfahrt am Fuss des Säntis

Eine rund zehn Kilometer lange Passstrasse verbindet den Appenzeller Ort Urnäsch mit der Passhöhe Schwägalp. Dazwischen liegen 450 Höhenmeter und zahlreiche Kurven – keine leichte Aufgabe! Auf dieser spektakulären Strecke im Alpstein ist Andreas Bodenmann mit seinem Postauto unterwegs, das passen­derweise den Namen «Säntis» trägt.

Es regnet und stürmt heftig an diesem Vormittag im Februar. Doch wie wenn nichts wäre, bewegt sich das Postauto behäbig bergwärts. Am Steuer des gelben Busses sitzt Andreas Bodenmann. Der Chauffeur ist seit 20 Jahren Dutzende Male pro Woche zwischen Urnäsch und der Schwägalp unterwegs. Kaum jemand kennt diese kurvenreiche Passstrasse im Kanton Appenzell Ausserrhoden so gut wie er. Jetzt, zur Zeit des Winterfahrplans, umfasst Bodenmanns Einsatz je nach Wochentag zwischen sieben und neun Fahrten. Im Sommer sind es zwölf, samstags und sonntags verkehrt diese Linie dann bei schönem Wetter sogar im Halbstundentakt. Hinauf, hinunter, hinauf, hinunter – innert einer Stunde ist das Postauto stets wieder zurück beim Bahnhof Urnäsch, wo sich auch das Busdepot befindet.

Ein sehr geschätztes Heimspiel
Andreas Bodenmann fährt nicht ausschliesslich diese Route im Appen­­zell­ischen, er leistet auch Einsätze im Toggenburg. Doch da er aus Urnäsch stammt, ist die Linie 791 für ihn ein Heimspiel – eines, das er zu schätzen weiss. «Diese Strasse finde ich einfach schön», sagt er. «Eine bestens aus­gebaute Fahrbahn und eine beeindruckende Landschaft, manchmal sehe ich sogar Wildtiere wie Gämsen, Rehe und Hirsche.» Man kommt hier rasch voran, von Haltestelle zu Haltestelle, denn Baustellen gibt es derzeit keine.

«Eine bestens ausgebaute Strasse und eine beein­druckende Landschaft, was will man mehr?»

Meistens kann der geübte Lenker das Postauto bis auf eine Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde beschleunigen. «Bei den vier engen Kurven fahre ich aber höchstens Tempo 20», verrät Andreas Bodenmann. Herausfordernd seien ohnehin nicht die Strasse und ihre Beschaffenheit, sondern die Tatsache, dass zu Spitzen-zeiten viele Velo- und Motorradfahrer anzutreffen sind. Es gebe einige unübersichtliche Stellen. Kurven, in denen man besonders auf der Hut sein müsse. Das unverkennbare Horn des Post­autos,
«Dü-da-do», erklingt dann manchmal in brenzligen Situationen – oder auch, um Reisenden aus dem Ausland oder Kindern eine Freude zu machen.

«Im Sommer ist hier mehr los als im Winter», sagt Andreas Bodenmann, der ursprünglich Zimmermann gelernt und lange in diesem Beruf gearbeitet hat, bevor er voll aufs Fahren setzte. «Es kommt dann immer wieder vor, dass das Postauto nicht genügend Platz bietet für alle, die auf den Berg wollen.» Für solche Fälle ist Andreas Bodenmann ausgerüstet: Innert weniger Minuten kann er beim Depot einen Anhänger montieren, dank dem die
Kapazität beinahe verdoppelt wird. Konkret heisst das: In den Bus passen 80 Personen, mit dem Anhänger können fast nochmals so viele mit­fahren, also total etwa 160. «Das kommt häufig vor, hauptsächlich an den Wochenenden, sofern das Wetter stimmt.»

Zehn Minuten für einen Kaffee
Jetzt, an diesem winterlichen Donnerstag, stimmt das Wetter überhaupt nicht. Das Postauto namens «Säntis», Baujahr 2015, bahnt sich trotzdem seinen Weg auf die Schwägalp. Als einzige Fahrgäste sind der Fotograf und die Redaktorin dabei. Schülerinnen, Schüler oder Pendelnde, die regelmässig auf der Linie 791 mitfahren, gibt es in dieser Gegend kaum – abgesehen von all jenen, die in den Bergrestaurants angestellt sind. «Das ist halt eine Tourismus-Linie», fasst Andreas Bodenmann zusammen.

Zuoberst, auf rund 1300 Metern über Meer, tropft der Regen in alten Schnee. Die drei Passagiere, die an der End­haltestelle gewartet haben, kommen schnellen Schrittes zum Postauto herübergelaufen. Sie sind sichtlich erleichtert, dass sie nun im warmen Bus Platz nehmen dürfen. Andreas Bodenmann hingegen steht von seinem Fahrersitz auf und vertritt sich kurz draussen die Beine. «Hier oben in der Natur bin ich gern», sagt er und schaut in den Nebel hinaus, dorthin, wo man bei besseren Bedingungen den Alpstein sehen kann. Zehn Minuten bleiben bis zur Rückfahrt ins Dorf. Manchmal reicht das für einen schnellen Kaffee im Restaurant. Dort verbringt der Postauto-Fahrer jeweils auch seine Mittagspause. Gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen von der Säntis-Luftseilbahn, deren Talstation sich gleich bei der Postauto-Haltestelle befindet.

Und der Säntis, was bedeutet dieser markante Berg für einen Ortskundigen wie Andreas Bodenmann? «Den Gipfel sehe ich nur selten aus der Nähe», sagt der Chauffeur und lacht. Etwa einmal pro Jahr unternimmt er eine Wanderung von der Schwägalp aus. Sonst ist er derjenige, der sein Postauto wendet, den Leuten beim Aus- oder Einsteigen zusieht und dann ins Tal zurückkehrt – konzentriert, gekonnt und sicher.

Passstrasse Urnäsch–Schwägalp

Länge: rund 10 Kilometer

Beschaffenheit: durchgehend asphaltiert, mit Bodenmarkierung

Steigung/Gefälle: bis zu 12 Prozent

Höhendifferenz: rund 450 Meter

Anzahl Spitzkehren: 4

Anzahl grosse Brücken: 3

Baujahr: 1935, zeitgleich mit der Luftseilbahn Schwägalp-Säntis, seither mehrmals saniert

ÖV: Postautolinie 791 mit 14 Haltestellen, Fahrtdauer rund 20 Minuten

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