«Wie würde Nachhaltigkeit beurteilt, wenn ...?»

Sein Lebensmittelpunkt ist in Sargans. Seine Lieblingsstrasse ausserhalb des Kantons. Er denkt bevorzugt in Mobilitätsverhalten als in abstraktiven Begriffen. Und  auch lieber im «Jetzt» als im «Danach». Das sind mehr als vier gute Gründe, mit dem Mann, der die Strassenzukunft des Kantons massgeblich mitprägt, ein Gespräch zu führen. Danke, Marcel John, dass Sie für die Leser von der asphaltprofi Einblick in Ihren Alltag geben.

Interview: Sibylle Jung

Marcel John
*1967, dipl. Ing. ETH/SIA und Betriebs- wirtschaftsingenieur NDS, amtet als Kantonsingenieur des Kantons St.Gallen. Er ist Mitglied beim Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein (SIA), bei der International Association for Bridge and Structural Engineering (IABSE) und bei der Schweizer Gesellschaft für Erdbebeningenieurwesen und Baudynamik (SGEB).

 

Marcel John, Sie starteten 2003 als Verkehrsplaner des Kantons St.Gallen. An welche Erkenntnis erinnern Sie sich?

Prägend war die Erkenntnis, wie absolut wichtig die Unterscheidung zwischen Mobilität und Verkehrsträgern ist. Während Strassen ein Typus von Verkehrsträgern sind, auf dem nebst dem motorisierten Individualverkehr auch der strassengebundene öffentliche Verkehr sowie grösstenteils auch der Fuss- und Veloverkehr abgewickelt wird, geht es bei Mobilität um weiterführende Fragestellungen. Oft geht es bei Diskussionen um gut, im Sinne von unbedenklich, etwa den Schienenverkehr, und schlecht, etwa den Flugverkehr. So einfach ist das nicht.

Es geht also tiefer. Worum genau? 

Was bei ökologischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Auswirkungen der Infrastruktur Strasse oder Schiene gern unterschlagen wird, ist unser Mobilitätsverhalten. Als Denkanstoss: Wie würde Nachhaltigkeit beurteilt, wenn in 40 Jahren selbstfahrende, elektrobetriebene Fahrzeuge in einen automatisierten Konvoi ein- und ausgegliedert werden können und die benötigte Energie dazu zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammen würde?

Etwas, das Sie und Ihr Team im Alltag mitprägen / mitprägen werden. Stichwort Alltag: Wie sieht er denn aus? Was genau macht ein Kantonsingenieur?

Im Namen Kantonsingenieur steckt die Berufsbezeichnung «Ingenieur» – ein Studium, das ich vor 27 Jahren abschloss. Meine Tätigkeit hat sich über all die Jahre relativ weit von den traditionellen Ingenieuraufgaben entfernt. Der ingenieurtechnische Hintergrund bleibt für meine tägliche Arbeit unverzichtbar. Im Vordergrund stehen heute jedoch noch andere Fertigkeiten und Kompetenzen, die eng mit den gesellschaftlichen Ansprüchen, die sich massiv geändert haben, verbunden sind. Stichwort Mitsprache. Heute wird bereits in den ersten Studienphasen eine Einbindung der Öffentlichkeit verlangt. Fürs Tiefbauamt bedeutete das, die Projektprozesse komplett umzustellen. Weitere Fertigkeiten wie Kommunikation oder Mediation sind verlangt, die Auseinandersetzung auch zwischen Technik und Mensch. Das sind Herausforderungen, die mich hauptsächlich fordern. Glücklicherweise sagt mir das zu, und mein Arbeitsalltag gestaltet sich dadurch sehr interessant.

Das Projektportfolio des Tiefbauamts des Kantons St.Gallen umfasst derzeit über 1000 Projekte … 

Aufgabenspektrum und Projektportfolio im Tiefbauamt sind in den letzten zehn Jahren rasant gewachsen. Von den 1000 Projekten, die Sie ansprechen, werden 450 aktiv bearbeitet; über 600 sind der Realisierung zugewiesen und werden sukzessive durch uns abgearbeitet werden.

Das zeigt sich auch in Zahlen. Während der Strassenbau im 15. Strassenbauprogramm (2009 bis 2013) mit rund 180 Millionen Franken abgerechnet wurde, waren es im 16. (2014 bis 2018) bereits über 250 Millionen Franken. Im 17. Programm, das von 2019 bis 2023 dauert, wurden 356 Millionen Franken veranschlagt. Wie jonglieren Sie all diese «Baustellen»?

Um dieses Geschäftsvolumen umzusetzen, bin ich auf hoch motivierte und bestens qualifizierte Mitarbeitende angewiesen. Diesen möchte ich an dieser Stelle ein Kränzchen winden. Sie machen ausnahmslos einen ausgezeichneten Job.

 

Ein spannendes Projekt ist der «Autobahnanschluss plus»  in der Region Rorschach. Was macht es für Sie besonders?

Da gibt es mehrere Aspekte. Einerseits ist es der Umstand, dass Infrastrukturen der National-, Kantons- und Gemeindestrassen für ein gesamthaft funktionierendes Strassensystem erforderlich sind und dementsprechend koordiniert werden müssen. Ein zweiter Punkt ist, dass bei diesem Projekt nicht die Strasse in den Mittelpunkt gestellt wurde, sondern ein anvisierter Zielzustand, der auch die gewünschten Entwicklungen der Siedlung beinhaltet. Ich durfte, damals, 2006, als Verkehrsplaner die erste Studie «Netzstrategie Region Rorschach» leiten. Es wäre für mich ein Highlight, wenn ich den Baubeginn oder gar die Inbetriebnahme der neuen Infrastruktur noch während meiner Aktivzeit beim Kanton miterleben dürfte. Dieses Projekt wäre das einzige, bei dem ich über den gesamten Werdegang beteiligt gewesen wäre.

Wenn es um die Entwicklung von Strassen geht, ist die MOAG nicht weit. Welche Rolle spielt die Mischgutwerke Ostschweiz AG fürs Tiefbauamt?

Als Unternehmen ist die MOAG ein verlässlicher Partner mit einer starken Verwurzelung in der Ostschweiz. Sie investiert stetig in neue Anlagen und Technologien und liefert beste Qualitätsprodukte. Bituminöse Beläge sind das zentrale Baumaterial für den Strassenbau im Kanton St.Gallen. Selbstredend, dass jedem meiner Mitarbeiter aus dem Strassenbau und dem Strassenunterhalt die MOAG bestens vertraut ist. Mehr noch: Die MOAG ist von zentraler Bedeutung für das Tiefbauamt Kanton St.Gallen.

Zurück zu Ihrem Amt, Ihren Aufgaben: Sie wurden 2003 von der Regierung zum Kantonsingenieur gewählt und haben seither vieles bewirkt. Was möchten Sie in Ihrer Amtszeit noch erreichen?

Im heutigen Umfeld, in dem Strassenbauprojekte immer längere Planungs- und Realisierungsfristen erfahren, ist es schwierig, sich mit grossen, eindrücklichen Projekten zu verwirklichen. Es geht vielmehr um die Begleitung solcher Projekte. Deshalb ist es für mich prioritär, die Weichen für weitere wichtige Projekte im Kanton St.Gallen zu stellen.

Und welche Pläne haben Sie für «danach»?

Ehrlich gesagt, ist das «Danach» für mich noch weit in der Ferne. Wenn Sie mich aber so fragen, würde ich wohl gern die Welt noch etwas besser kennenlernen.

Ihr Alltag ist intensiv. Wie schaffen Sie den Ausgleich? Was ist Ihre Energiequelle?

Das sind ganz klar meine Frau und unsere drei Söhne. Wenn immer möglich, organisieren wir unsere Freizeit gemeinsam.

Und wo trifft man Marcel John nach Feierabend?

Ich wohne in Sargans und damit nicht direkt da, wo ich arbeite. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist es mir wichtig, mich an meinem Wohnort so gut wie zeitlich möglich einzubringen. 

Die Mitgliedschaft in der Musikgesellschaft ist eine Möglichkeit, wo ich mein Hobby, die Musik, und meinen Bekannten- kreis pflegen kann. In dieser Gesellschaft trifft man mich ein- bis zweimal die Woche. Ein Glas Bier mit den Kollegen nach der Probe gehört natürlich dazu.

Abschliessend interessiert uns, welches Ihre Lieblingsstrasse ist …

Meine Lieblingsstrasse ist die Julierstrasse. In meinen ersten Jahren als Bauingenieur durfte ich die Projektleitung über mehrere Abschnitte für deren Ausbau übernehmen. Wenn ich heute über den Julier fahre, beobachte ich immer noch genau. Viele Details der damaligen Diskussionen wie etwa Radien, Klothoiden oder Geschwindigkeitsband sind vor Ort spontan wieder präsent. Ich empfinde es als sehr befriedigend, wenn das Resultat dieser Diskussionen in einem erfolgreich umgesetzten Strassenbau erkannt werden kann.