Die Zukunft ist elektrisch und multimobil

Patrick Ruggli, Ingenieur ETH, leitet das Amt für ­öffentlichen Verkehr des ­Kantons St.Gallen.

Haben wir in 30 Jahren noch eigene Autos? Wenn ja, wie werden sie angetrieben? Oder werden wir in Air-Taxis durch die Luft schweben? Welche Bedeutung wird die Strasse im Jahr 2050 haben? Sicher ist: Wir stehen vor ­einer multimobilen Ära. der asphaltprofi wirft einen Blick in die Zukunft.

Text und Interview: Jürg Aegerter

Ein kleines Flugvehikel holt uns direkt vor der Haustüre ab, und wir düsen im Nu zu unserem Termin in der Stadt. Einer, der sich schon lange mit futuristischen Transportmitteln beschäftigt, ist der Erfinder Andreas Reinhard aus Baar im Kanton Zug. Er beschreibt sich selber als «konstruktiv Unzufriedener» und ist immer auf der Suche nach Neuem. In seinem Buch «Door to Door Mobilität» stellt er die aktuellen Projekte aus seiner Ideenwerkstatt vor und zeigt, was möglich sein könnte. Ein Beispiel sind Gondeln, mit denen die Passagiere – wie heute in der Luft – in einem Automobil oder auf einer Zugstrecke unterwegs sind. Andreas Reinhard sagt: «Wir wollen möglichst bequem von Haustür zu Haustür unterwegs sein. Die Maximalgeschwindigkeit spielt nur eine untergeordnete Rolle. Wir können ja unterwegs arbeiten oder uns unterhalten.» Wann seine Vision einer Mischform von Luft-Strassen-Schienen-Vehikel Realität sein könnte, lässt er offen. Andreas Reinhard ist kein Utopist: «Ich sehe nicht das Vehikel im Garten, in das wir einsteigen und ins Büro oder in die Berge fliegen können. Wir würden dabei nur das Chaos von der Strasse in den Himmel verlegen.» Vielmehr will der Erfinder in Zukunft bestehende Strassen und Schienen besser nutzen. «Wir müssen vor allem die bestehende Infrastruktur ausnutzen: Unsere Autos – oder eben die Transportgondeln – fahren digital gesteuert nur wenige Zentimeter hintereinander wie im Tatzelwurm auf der Strasse – oder werden nach Bedarf auf die Schiene verladen», so der Blick des Erfinders Andreas Reinhard in die Zukunft.

Heute sind wir vor allem auf der Strasse unterwegs. Rund drei Viertel aller Wege legen wir mit dem Auto zurück. Pro Person sind das jährlich rund 16’000 Autokilometer, Tendenz zunehmend. Immer mehr Autos verkehren auf den Schweizer Strassen. Der Verkehr auf den Autobahnen hat sich seit 1990 verdoppelt, die Staustunden steigen. Die stärkere Beanspruchung strapaziert die Infrastruktur. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an eine moderne Strasse: Lärmschutz oder Schutz vor Naturgefahren. Insgesamt wachsen die Ausgaben für den Strassenbau in den nächsten Jahrzehnten. Bei den Nationalstrassen plant der Bundesrat bis 2030 Ausgaben von fast 15 Milliarden Franken. Im Agglomerationsverkehr will die öffentliche Hand 7 Milliarden Franken ausgeben. Im Strassenbau-Programm 2019 – 2023 des Kantons St.Gallen sind 529 Millionen Franken veranschlagt.

Im Nahverkehr sind moderne Kabinenseilbahnen im Trend. Sie sind leise, sicher, effizient, kostengünstig und sauber. Insbesondere entlasten sie die Infrastruktur am Boden.

Auto bleibt wichtigstes Verkehrsmittel
Rund um den Globus fahren heute weit über eine Milliarde Fahrzeuge. Auf absehbare Zukunft wird das Auto Verkehrsmittel Nummer eins bleiben. Im Flugverkehr gibt es vielleicht eine Trendwende. Zumindest HSG-Mobilitätsexperte Erik Linden sieht erste Anzeichen für freiwilligen Verzicht aufs Fliegen – aus Umweltschutzgründen (siehe Interview >). Bisher galt auch in der Luft: immer mehr und immer weiter. Herr und Frau Schweizer steigen durchschnittlich 5,5-mal pro Jahr in ein Flugzeug – meistens, um in die Ferien zu fliegen.

Nur noch Elektro-Autobusse
Rund ein Drittel aller Distanzen legen Schweizerinnen und Schweizer mit dem öffentlichen Verkehr zurück, also mit dem Zug und mit Bussen. Auch der öffentliche Verkehr wird laut Fachleuten bis 2050 zunehmen. der asphaltprofi sprach darüber mit dem St.Galler Verkehrsexperten Patrick Ruggli. Der dipl. Ing. ETH /SIA /SVI ist Leiter des Amtes für öffentlichen Verkehr Kanton St.Gallen. Er sieht eine organische Entwicklung der öffent-lichen Verkehrsmittel voraus: «Ich denke, der ÖV wird auch in 30 Jahren mehr oder weniger so aussehen wie heute.» Eine mobile Revolution hält er trotz -Klimadebatte für unwahrscheinlich. «Im öffentlichen Verkehr hat die Revolution schon vor Jahrzehnten stattgefunden. Die Bahn fährt bereits heute zu 100 Prozent elektrisch, und das ohne Batterien. Bei den Bussen sind wir daran, auf Elektroantrieb mit Batterien umzustellen. Bis in 20 Jahren fahren wohl alle Busse im Kanton St.Gallen elektrisch.»

In den kommenden 15 Jahren werden 13 Milliarden Franken in die Bahninfrastruktur investiert. Davon profitiert auch die Ostschweiz. Patrick Ruggli erwähnt die geplanten Ausbauten in Zürich-Stadelhofen und beim Brüttenertunnel bei Winterthur. Das mache die Verbindungen in die Ostschweiz schneller – und reduziere die Fahrzeit Zürich – St.Gallen auf gut 50 Minuten. «In den grösseren Agglomerationen wird der Viertelstundentakt kommen, in ländlichen Gebieten braucht es den Halbstundentakt.» Und er ergänzt: «Der Stundentakt ist in Zukunft nirgends mehr attraktiv, nicht mal in abgelegenen Gebieten».

Multimobile Ära
Der Mensch wird in den nächsten Jahrzehnten in vielen Bereichen mobiler, so viel scheint klar. Mobiles Arbeiten gehört genauso dazu wie Carsharing und intelligente Transportsysteme. Der HSG-Mobilitätsexperte Erik Linden träumt von einem vernetzten System mit Fahrzeugen, das beliebiges Ein- und Aussteigen möglich macht. Mit diesem Traum ist der HSG-Experte nicht mal weit weg von der Vision des Erfinders Andreas Reinhard. Vielleicht fahren wir irgendwann tatsächlich in einer multimobilen Transportgondel durch die Gegend?

Auf elektrischen Plattformen fahren Gondeln wie auch Transport- container auf der Strasse oder dem normalen Schienennetz.