Der punktuelle Ausbau des Nationalstrassennetzes ist gemäss Bundesamt für Strassen (ASTRA) notwendig. Denn die Klimaziele sind nur dann erreichbar, wenn alle Verkehrsträger weiterhin ihre vorgesehenen Funktionen erfüllen. Im Interview erläutert ASTRA-Direktor Jürg Röthlisberger die Stossrichtungen, die auch in Zukunft einen reibungslosen und sicheren Verkehr gewährleisten sollen.
Gemäss Direktor Jürg Röthlisberger ist die Zusammenarbeit des ASTRA mit der Privatwirtschaft eine grosse Erfolgsgeschichte.
«In der Schweiz haben wir noch nie auf Vorrat Strassen gebaut.»
Jürg Röthlisberger
Jürg Röthlisberger, wie steht es aktuell um das Nationalstrassennetz
in der Ostschweiz?
Die Nationalstrassen bilden in der Ostschweiz – wie in allen anderen Landesteilen auch – das Rückgrat der Mobilität. Vor allem für das Gewerbe und für den Autoverkehr, aber auch für die Entlastung der Agglomerationen. Denn dort sollen die Strassen vor allem für den ÖV und den Langsamverkehr zur Verfügung stehen. Aktuell kommt das Nationalstrassennetz an seine Kapazitätsgrenzen. Darum haben wir punktuelle Ausbauten in Planung,auch in der Ostschweiz.
Wo gibt es den dringendsten Handlungsbedarf?
Unser grösstes Problem ist der Ausweichverkehr. Der Name sagt es ja, die Fahrzeuglenker weichen aus. Das heisst, es findet irgendwo Verkehr statt, wo er nicht stattfinden sollte. Es ist die Strategie des Bundesrats, dass wir das, was wir schon haben, effizienter nutzen. Dazu gehören intelligente Steuerungsanlagen, mit denen wir mittels Geschwindigkeitsanpassungen in den Verkehr eingreifen. Das bringt vor allem bei der Sicherheit viel. Dazu kommt der punktuelle Ausbau, zu dem beispielsweise auch die dritte Rosenberg-Röhre in St.Gallen gehört, die ja ein Teil der kommenden Volksabstimmung ist.
Über die Entwicklung des Verkehrsaufkommens gibt es verschiedene Ansichten. Während das ASTRA von einer weiteren Zunahme ausgeht, sagen andere, dass mit zukünftigen Formen der Mobilität, etwa mehr Schienenverkehr oder besseren Car-Sharing-Angeboten, der Verkehr nicht unbedingt weiter zunimmt …
Auch hier gilt: Das eine tun und das andere nicht lassen. Es ist absolut klar, wir brauchen alle Formen der intelligenten Mobilität. Wir müssen aber auch die dafür benötigte Verkehrsfläche zur Verfügung stellen. Es ist eine Illusion, zu meinen, das Angebot schaffe die Nachfrage. In der Schweiz haben wir Strassen noch nie auf Vorrat gebaut. Bautätigkeiten waren stets Antwort auf eine bestehende Nachfrage oder auf einen Nachfrageüberhang. Das gilt übrigens auch für den Schienenverkehr.
Und bei der Bahn wurde die Finanzierung kommender Grossprojekte bereits sichergestellt …
Mit der guten Absicht, eine Umverteilung des Individualverkehrs auf die verschiedenen Verkehrsträger zu erreichen. Bis 2040 möchte der Bund nur noch zwei Drittel motorisierten Verkehr, anstatt wie jetzt drei Viertel. Genauso ist es die Absicht des Bundesrats, in den nächsten 20 Jahren eine Verdoppelung des Veloverkehrs zu erreichen. Als ASTRA stehen wir voll hinter diesen Plänen. Das heisst in der Folge aber auch, dass wir dafür sorgen müssen, dass der motorisierte Verkehr dort stattfindet, wo er am effizientesten ist. Sprich, auf der Autobahn.
Beisst sich der Ausbau der Nationalstrassen nicht mit den Klimazielen?
Nein, er bewirkt eher das Gegenteil. Denn ein Stau ist nie effizient. Weder ökonomisch noch ökologisch. Dazu kommt: Gemessen an den Strassenlängen sind die Autobahnen mittlerweile nicht mehr die sichersten Strassen. Das hat damit zu tun, dass es sehr viele Auffahrunfälle gibt. In meinem Bekanntenkreis gibt es Menschen, die nicht mehr auf der Autobahn fahren, weil sie es als zu gefährlich empfinden. Diese Menschen fahren dann durch die Dörfer. Und sind dort in Konkurrenz mit Fussgängern, Velos und ÖV. Das macht doch keinen Sinn.
Wenn im November gegen den Ausbau gestimmt würde – wäre dann die dritte Rosenberg-Röhre vom Tisch?
Es ist völlig klar, wenn der Ausbau abgelehnt wird, dann ist dies, im besten Sinne dieses unmöglichen Worts, ein Gamechanger. Dann muss die Politik über die Bücher. Und entscheiden, was sie mit den vorhandenen Verkehrsträgern machen will. Und ja, die dritte Rosenberg-Röhre würde nicht realisiert.
Haben Sie Angst vor einem Nein?
Angst ist ein schlechter Ratgeber. Beim ASTRA sind wir dauerhaft unter der Belastung von Naturgefahren, wir haben es diesen Sommer erlebt. Vor dem Ereignis ist nach dem Ereignis. Wenn wir anders denken würden, könnten wir die Nationalstrassen nicht betreiben. Und ich bin zuversichtlich. Denn ich habe noch nie erlebt, dass Stillstand die richtige Antwort auf Dynamik ist. Und die Schweiz ist dynamisch.
Würde eine Überdachung der Autobahnstrecken – gerade etwa bei den Spurausbauten in den Kantonen Bern und Genf – nicht mehr Leute ins Boot holen?
Flächen zweifach zu nutzen, ist immer sinnvoll; zum Wohnen, für die Industrie, für die Energiegewinnung oder für Grünflächen. Es gibt bereits sehr viele gute Beispiele dafür. Das neueste ist die Einhausung Schwamendingen. Für solche Projekte braucht es jedoch eine gemeinsame Finanzierung durch Gemeinden, Kantone und Bund.
In Schwamendingen kamen rund 50 Millionen Franken von der Stadt, rund 100 Millionen vom Kanton
und rund 400 Millionen vom Bund. Ich begrüsse jedes dieser Projekte.
Wie schätzt das ASTRA die Zusammenarbeit mit den lokalen Strassenbaufirmen und mit den Belagsproduzenten ein – zum Beispiel in der Ostschweiz?
Das ASTRA hat einen enorm hohen Auslagerungsgrad. In der Planung haben wir eine Produktionstiefe von ungefähr 12 Prozent; wenn wir die Bautätigkeiten dazuzählen, sind es noch knapp 3 Prozent. Das heisst für uns, wir stehen oder fallen mit den Planungsbüros und der Ausführungsindustrie. Diese Zusammenarbeit ist eine grosse Erfolgsgeschichte und basiert auf hohem Vertrauen. Denn wir wissen: Die Privatunternehmen können das und machen einen super Job.
Inwiefern setzen Sie auch bei den Materialien, die auf den Strassen eingesetzt werden, auf Nachhaltigkeit?
Diese Frage muss ich abstrahieren: 95 Prozent der CO2-Problematik auf den Strassen betreffen die Fahrzeuge. Das heisst, wir müssen die ganz grossen Anstrengungen dort unternehmen. Die restlichen 5 Prozent fallen auf den Betrieb und den Bau. Bei den Belägen streben wir einen höheren Recyclinganteil an. Wir arbeiten auch hier eng mit der Privatwirtschaft zusammen, die – gerade etwa die MOAG – äusserst innovativ ist. Die Nieder- und Mitteltemperaturasphalte bleiben aktuell noch eine Herausforderung. Es ist unser langfristiges Ziel, dass wir die Einbautemperatur auf unter 100 Grad bringen.
Per 2025 dürfen in der Schweiz die ersten Autos teilautonom fahren. Sie sollen gemäss Experten auch die CO2-Emissionen des Strassenverkehrs senken. Ist das ein realistisches Szenario?
Wir können beim Verkehr vier massgebende Megatrends ausmachen, die fast alles andere beeinflussen. Der eine ist das Verkehrswachstum; es ist da. Der zweite ist die Elektrifizierung; ein Zug, der bereits fährt. Der dritte Megatrend ist der Langsamverkehr und der vierte die Automatisierung. Ab 2025 dürfen Fahrzeuglenker, die entsprechende Autos haben, mit dem Autobahnpiloten fahren, was vor allem punkto Sicherheit sehr viel bringen wird. 11 Prozent aller Staustunden entstehen aufgrund von Unfällen. Die Automatisierung wird diese Zahl deutlich senken. Dass es auch ökologischer ist, wenn Sie nicht «stop-and-go» fahren müssen, versteht sich von selbst.
Die meisten Menschen in der Schweiz besitzen aber kein solches Fahrzeug …
Es ist eine Frage der Zeit – wie es das beim Airbag oder beim ABS war. Innerhalb von fünf bis zehn Jahren wird es diese Fahrzeuge bis in die untere Mittelklasse geben. Und sie werden elektrisch unterwegs sein. Und dann sind die wirklich schönen Effekte da.
Als Schweizer Strassenchef, welche künftigen Projekte beschäftigen Sie besonders?
Mich beschäftigen beispielsweise unsere rund 10’000 Brücken in der Schweiz. Ihre reale Lebensdauer wird gemäss SIA auf rund 90 bis 100 Jahre berechnet, und über die Hälfte von ihnen ist bereits über 60-jährig. Laufen wir auf eine riesige Ersatzwelle zu? Mit entsprechenden finanziellen Folgen? Oder gelingt es uns, diese Bauwerke auch über die effektive Lebensdauer hinaus zu erhalten? Wir investieren aktuell einiges in Forschungsprojekte, um diese Fragen zu klären.
Und mich beschäftigt die Mineralölsteuer. Die Einnahmen daraus werden aufgrund der Elektrifizierung einknicken. Darum wird der Bundesrat im Frühjahr 2025 eine Verfassungsvorlage in die Vernehmlassung schicken, bei der es darum geht, ob und nach welchem Modus auch E-Auto-Fahrer ein Mineralölsteuer-Äquivalent zahlen sollen. Persönlich bin ich überzeugt, dass dies nötig ist. Denn irgendwoher brauchen wir die Betriebsmittel.
Bei all diesen Themen, können Sie die Strassen in Ihrer Freizeit überhaupt noch geniessen?
Absolut. Im Auto, aber auch mit dem Töff oder dem Velo. Man kann Mobilität nicht nur über die Ratio begreifen. An einem schönen Sonntag sehen Sie viele Motorräder und Campingbusse auf den Strassen. Diese Menschen haben ein Bedürfnis. Das ist reine Emotion. Und ja, ich gehöre auch dazu. Mobilität macht Spass, Fahrzeuge machen Spass. Und Ästhetik macht Spass. Voilà
Anschluss Wil-West
Ausbau am Autobahnanschluss Wil-West
Umsetzung: frühestens ab 2033
Kosten: CHF 37 Millionen
Anschluss Wil
Anpassung des Anschlusses Wil zur Leistungssteigerung
Umsetzung: voraussichtlich ab 2027
Kosten: CHF 3 Millionen
Photovoltaikanlage Wilfeld
Bau einer Photovoltaikanlage
Umsetzung: ab 2026
Kosten: CHF 2,4 Millionen
Geschwindigkeitsharmonisierung und Gefahrenwarnanlage Uzwil-Rheineck
Bau der Verkehrsmanagementanlage zwischen Uzwil und Rheineck
Umsetzung: 2025–2028
Kosten: CHF 65 Millionen
Unterhaltsplanung St.Gallen West–Ost
Sanierung der Stadtautobahn zwischen St.Gallen Winkeln und St.Gallen Neudorf
Umsetzung: Etappe 2 bis 2027/28
Kosten: CHF 550 Millionen
Engpassbeseitigung St.Gallen
Ausbau- und Sarnierungsprojekt zur Engpassbeseitigung in der Region St.Gallen (inkl. dritte Rosenberg-Röhre)
Umsetzung: ab 2030
Kosten: CHF 1,3 Milliarden,
exkl. Unterhaltsplanung
Stützpunkt Neudorf
Neubau des Stützpunkts Neudorf
Umsetzung: 2028–2030
Kosten: CHF 20–25 Millionen
Unterhaltsplanung Neudorf–Rheineck
Erhaltungsprojekt auf der A1 zwischen St.Gallen Neudorf und Rheineck
Umsetzung: ab 2030
Kosten: CHF 228 Millionen
Anschluss Witen
Neubau eines Vollanschlusses an die A1 mit Zubringer und Tunnel Hohrain
Umsetzung: öffentliche Auflage ca. 2026, Realisierung nicht vor 2033
Kosten: CHF 108 Millionen
Bodensee-Schnellstrasse S18
Bau der Verbindung zwischen der A1 und der A14 in Österreich, St.Margrethen–Höchst
Umsetzung: ab 2034
Kosten: CHF 90 Millionen
Unterhaltsplanung Haag–Oberriet
Erhaltungsprojekt auf der A13, Abschnitt Haag–Oberriet
Umsetzung: ab 2025
Kosten: CHF 161 Millionen
Anschluss Buchs
Anpassung des Knotens Langäulistrasse inklusive Verbesserung Langsamverkehr sowie Ersatzneubau der Überführung
Umsetzung: 2027–2031
Kosten: CHF 58 Millionen
Wildtierkorridore Vaduz und Wartau
Bau von zwei Wildtierüberführungen über die A13
Umsetzung: 2026/27 (Vaduz), 2027/28 (Wartau)
Kosten: CHF 9,7 Millionen (Vaduz),
CHF 15 Millionen (Wartau)
Anschluss Flums
Anpassung des Anschlusses Flums zur Leistungssteigerung
Umsetzung: abhängig von Variantenwahl
Kosten: CHF 0,5–3 Millionen
Instandsetzung Strasse und
Entwässerung Hundwil
Sanierung der N25/04 zwischen Hundwil und dem Kreisel Sonderau
Umsetzung: ab ca. 2028
Kosten: CHF 4,3 Millionen
Stabilisierung Rutschhang Hundwil
Stabilisierung des Rutschhangs an der N25/04 und Ergänzung für den Langsamverkehr
Umsetzung: 2029–2030
Kosten: CHF 10,3 Millionen
Foto: ASTRA
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